Gutächtliche Aeusserung des Doctoren-Collegiums der medic. Facultät in Wien über die Organisirung der akademischen Behörden und ein definitives Statut der Wiener Universitat / J. Schneller.

  • Schneller, J.
Date:
[1864?]
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Credit: Gutächtliche Aeusserung des Doctoren-Collegiums der medic. Facultät in Wien über die Organisirung der akademischen Behörden und ein definitives Statut der Wiener Universitat / J. Schneller. Source: Wellcome Collection.

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    Die strengen Prüfungen sind nicht, analog den ehemaligen Se- mestralprüfungen und den jetzigen Colloquien, Schulangelegenheiten, nachdem der absolvirte Candidat aufgehört hat Schüler zu sein und das Rigorosum keine nothwendige Consequenz des Unterrichtes ist, — sondern Berufsprüfungen. Damit die strengen Prüfungen aber das seien, was sie sein sollen, nämlich Acte derFaeultät, dürfen sie nicht allein vom Lehrkörper abgehalten werden, weil dieser eben nicht Facultät ist. Jene sind aber auch, so lange die Wiener Universität besteht, durch ihre ältesten, so wie durch alle folgenden Statuten, durch die Freiheitsbriefe der österreichischen Landesfürsten, endlich durch die jetzt noch gütigen kaiserlichen Entsohliessungen der Jahre 1804, 1810 und 1833 als Acte der medic. Facultät aner¬ kannt. Durch ihre Ablegung erhält überdies der künftige Doctor zugleich das Recht zur Ausübung der Praxis, somit eines Berufes, der bei seiner grossen Verantwortlichkeit in der That den strengen Nachweis theoretischer und praktischer Befähigung erheischt. An den von Einzelnen als Vorbild aufgestellten deutschen Uni¬ versitäten, welche ausschliesslich Schulen sind, hat der Doctorgrad der Medicin kaum mehr als die Bedeutung eines Titels, ist leicht zu erwerben und kann gegen Erlag der Taxen selbst in absentia erlangt werden. Unter mehreren Beispielen möge hier bloss der in jüngster Zeit dem Collegium auf amtlichem Wege bekannt gewor¬ dene Fall von einem hiesigen Patrone der Chirurgie mitgetheilt werden, welcher von der preussischen Universität Bonn in absentia sieh ein medicinisehes Doctordiplom verschaffte. Das Recht zur Ausübung der Praxis wird dort erst nach Ab¬ legung der sogenannten Staatsprüfungen verliehen. Diese werden von eigenen Examinations-Commissionen und Medieinal-Collegien vorgenommen, in denen meist praktische Aerzte und Sanitätsbeamte fungiren. Sie sind mehr praktischer Natur und bilden die Er¬ gänzung, ja selbst eine Art Superarbitrium der vorausgegangenen Doctoratsprüfung. Würde demnach die Wiener Universität ähnlich den sogenann¬ ten deutschen organisirt sein, und der Lehrkörper als Facultät allein die Doctoratsprüfungen vornehmen, so ist Behufs der Erlan¬ gung des Rechtes zur Praxis die nachträgliche Staatsprüfung die natürliche Consequenz. Allein es ist dies, abgesehen von der seit jeher an der Wie¬ ner Universität stattgefundenen Uebung und den herrschenden ganz richtigen Anschauungen des Volkes, welches sich einen Medicinae Doctor, der nicht befähigt ist Kranke zu behandeln, nicht denken kann, auch vom Standpuncte des öffentlichen Gesundheitswohles nicht zu wünschen. Denn jene Doctoren der Medicin, welche eigent¬ lich keine Aerzte sind, weil sie auch nicht die nöthige Ausbildung hiezu erlangten, werden doch Praxis ausüben zum offenbaren Naeh- theile des Gesundheitswohles der Staatsbürger, und Oesterreich er¬ hält zu den schon vorhandenen noch eine neue Kategorie von Sa¬ nitätsindividuen, deren Ueberwachung eine äusserst schwierige sein wird. Stets war aber die medicinische Doctorats- und die Staatsprü¬ fung hier in Eins verschmolzen, und selbst die grosse Kaiserin, die Gründerin der Staatsschule, wusste die Autonomie der Universität mit den Anforderungen des Staates in Einklang zu bringen. Nebst dem Präses als kaiserlichem Commissär und dem Facul- tätsdecane, der wie ehemals und nach den noch gütigen kaiserl. Entschliessungen noch jetzt das Recht zur Zulassung hat, und in Verhinderungsfällen den Präses vertrat, fungirten schon damals ausser vier Professoren noch zwei andere Doctoren als Prüfungs- Commissionsmitglieder. Gegenwärtig hat der Professorendecan, welcher nach §. 19 des provisorischen Gesetzes den ehemaligen Vicedirector vertritt, den ’v oi sitz bei den strengen Prüfungen, und ausser dem Doctorendecane intervenirt bloss noch beim zweiten medicinischen Rigorosum ein Doctor als Gastprüfer. Der Vorsitzende besitzt jetzt natürlich keineswegs jene Autorität, wie sie der ehemalige Präses besass, was aber der bei 60 wichtigen Acten nothwendigen Strenge und Ordnung gerade nicht förderlich ist. s\ ährend die Analogie und das staatliche Interesse bei den in neuerer Zeit eingeführten Prüfungen für praktische Berufsarten, z. B. Richteramts-, Advocaten-, Notariats-Prüfungen, dann für Forst- wirthe, Ingenieurs u. dgl., ja selbst bei den theoretischen Staats¬ prüfungen für Juristen immer lauter dafür spricht, Männer als Exa¬ minatoren beizuziehen, welche dem Lehrerkreise nicht angehören, während die Zahl tüchtiger Aerzte und Sanitätsbeamter zunimmt, und das Collegium selbst notorische Belege für sein wissenschaft¬ liches Wirken fortwährend liefert, bemühte man sich seinen Ein¬ fluss auf die medicinischen Fachprüfungen zu schmälern, statt ihn zu erweitern. Und doch ist diese Forderung des Collegiums eine unabweis¬ bare, weil zeitgemässc. Die Strenge und Unparteilichkeit bei der Prüfung fordert das Einhalten einer bestimmten Zeitdauer bei derselben, die Gegenwart mehrerer Examinatoren zu gleicher Zeit, den entsprechenden Wech¬ sel derselben und die Zuziehung von Prüfern ausserhalb des Lehr¬ körpers. Das noch jetzt geltende preussische Staatsprüfungsregle¬ ment vom Jahre 1825 schreibt in §. 4 vor, dass als Examinatoren hiezu, so weit es thunlieh, keine Universitätslehrer gewählt werden sollen, besonders nicht solche, welche an der vorausgegangenen Facultätsprüfung theilgenommen haben. Durch gleichzeitige Beiziehung von Professoren, und in den praktischen Fächern von Doctoren, dürfte den gerechtesten Anfor¬ derungen Genüge geleistet sein. Und es wird in Wien gewiss nicht schwer sein, für letztere Kategorie geeignete Examinatoren aus sämratlichen klinischen und staatsarzneiliehen Fächern zu fin¬ den, ja selbst in den theoretischen Disciplinen mangelt es nicht an würdigen Vertretern. Durch die in ihren Elementen (Professoren und Doctoren) gleichartige Zusammensetzung solcher gemischter Commissionen an den Universitäten Oesterreichs würde die so wünschenswerthe Con- formität derselben in Bezug der Erwerbung akademischer Grade leicht angebahnt werden. Zu grösserer Beruhigung für die Regie¬ rung könnten die Examinatoren für dieses Amt in Eid und Pflicht genommen werden. Auch eine veränderte Gruppirung der Prüfungsgegenstände nach ihrer Zusammengehörigkeit, so wie die Zerfällung der jetzt durch die Masse der Fächer den Candidaten nahezu erdrückenden medicinischen Rigorosen in kleinere Gruppen ist dringend geboten, und zwar nicht minder im Interesse der Examinatoren. Der Wegfall der Semestralprüfungen. die häufig zur blossen Formalität Behufs des Stipendiumgenusses oder der Militärbefreiung herabgesunkenen Colloquien, die allzu leicht ertheilte Frequenta- tionsbestätigung, der mangelhafte oder gänzlich fehlende Nachweis der während einer langen Studienzeit stattgefundenen praktischen Verwendung, die Einführung der Collegiengelder, die Freiheit der Lehrer, aus dem von ihnen vertretenen Fache nur einzelne Ab¬ schnitte mit Uebergehung mancher tür den praktischen Arzt und Sanitätsbeamten höchst wichtiger zu behandeln, alle diese Umstände machen eine Regulirung des Prüfungswesens höchst nothwendig. Die gegenwärtig geltende, nicht einmal in ihrer Strenge weder betreffs der Dauer der einzelnen Rigorosen noch betreffs der Art des Examinirens durchgeführte Rigorosenordnung vom Jahre 1833 war auf ganz anderen Voraussetzungen basirt, als sie jetzt beste¬ hen, sie ist daher nicht zeitgemäss. Dadurch, dass der Präses ent¬ fallen, der kein Lehrer war, entging den Doctoren auch ein wich¬ tiger Vertreter bei jedem Rigorosum. Die active Theilnahme tüchtiger und unbefangener, weil un¬ abhängiger Examinatoren ausserhalb des Lehrkörpers wird das beste Correctiv abgeben gegen den möglichen Missbrauch der Lehr- und Lernfreiheit und die thatsächliche Erreichung des Zweckes der strengen Prüfungen mehr sieherstellen, als bisher. Hinsichtlich der detaillirten Vorschläge zu einer neuen Rigoro¬ senordnung bezieht sich das Collegium ehrerbietigst auf seinen Be¬ richt an das Venerabile Universitäts-Consistorium ddo. 3. September 1850, Z. 449, und auf seine Vorstellung bei Sr. Exc. dem Herrn Unterrichtsminister ddo. 10- Februar 1860, Z. 134, obwohl auch hier wieder manche Modificationen nöthig sein dürften.