Über Psychologie der individuellen Differenzen : Ideen zu einer "Differentiellen Psychologie" / von L. William Stern.

  • Stern, William, 1871-1938.
Date:
1900
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Credit: Über Psychologie der individuellen Differenzen : Ideen zu einer "Differentiellen Psychologie" / von L. William Stern. Source: Wellcome Collection.

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    267J schaft, zu der ein Steinthal, Lazarus, Max Müller bedeutsame und vielversprechende Anfänge geschaffen haben, ist weniger eine Völker-, denn eine Volkspsychologie zu nennen. Das soll heissen: sie ist keine differentielle, sondern eine generelle Psychologie des sogenannten Volksgeistes; sie studiert die ihm immanenten, allgemeingültigen Gesetzmässigkeiten, die zur Er- zeugung von Sprache, Mythus u. s. w. führen müssen, sucht aber hierbei meist von den Differenziierungsformen — die uns ja ge- rade interessieren — abzusehen. So haben wir viel eher eine Psychologie der Sprache, als der Sprachen, des Eechts, als der Rechtsanschauungen. Aus diesem Sachverhalt wird auch die oft beklagte, aber nie recht begriffene Erscheinung verständlich, wa- rum sich zwischen der Psychologie des Volksgeistes und den Wissenschaften von den geistigen Erzeugnissen: Litteratur- und Sprachwissenschaft, Ethnologie, Jurisprudenz, Religionswissen- schaft u. a. m. die rechte Fühlung nie herstellen wollte: es fehlte das Bindeglied. Die generelle Lehre vom Volksgeist vermochte mit der verwirrenden Menge der Einzelheiten, welche die Spezial- wissenschaften als Material lieferten, nichts Rechtes anzufangen, da sie immer nur auf das Allgemeingültige hinzielte. Und die „GeistesWissenschaften“ erkannten zwar meist in der Theorie die Forderung an, dass sie sich, um dem wissenschaftlichen Kausal- bedürfnis voll zu genügen, auf Psychologie gründen müssten — denn des Geistes Erzeugnisse sind eben nur aus den geistigen Funktionen ganz verständlich zu machen — aber sie konnten diese Forderung nicht in Wirklichkeit Umsetzern Fehlte doch so gut wie ganz das psychologische Fundament eben für diejenige Seite der Geistes weit, die jenen Forschungszweigen besonders am Herzen liegt, und das ist die differenzielle.2) Wählen wir ein Beispiel. Was für die Sprachwissenschaft die generelle Psycho- logie des Volksgeistes leisten konnte, hat zum grossen Teil Stein- thal geleistet. Aber — hierbei ist das Hauptphänomen der Linguistik, nämlich die Verschiedenheit der Sprachen, zu kurz gekommen! Und doch sind gerade auf diesem Gebiet die *) S. hierüber auch Dilthey [J3 S. 301].