Grundriss der Physiologie des Menschen / von Karl Vierordt.

  • Vierordt, Karl von, 1818-1884.
Date:
1862
Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Grundriss der Physiologie des Menschen / von Karl Vierordt. Source: Wellcome Collection.

Provider: This material has been provided by the Francis A. Countway Library of Medicine, through the Medical Heritage Library. The original may be consulted at the Francis A. Countway Library of Medicine, Harvard Medical School.

    10/596
    Damit bekenne ich zugleich, dass ich die Darstellung einer physiolo- gischen Function nicht abhängig mache von dem, der Wissenschaft als solcher ganz fremden und vielfach auch einer bloss subjektiven Schätzung anheimgestellten Dignitätsgrade, welchen die Funktion für den Organismus hat. Das Sprechen, die Stimme, das Gehen und Stehen, die, nebst anderen Functionen, als sog. «Fertigkeiten» nicht selten hinter den übrigen Capiteln bedeutend zurückstehen müssen, gehören zu den für das erste Studium schwierigeren Theilen der Physiologie; sie bieten aber auch eine gewisse Abrundung und Folgerichtigkeit ihrer Lehrsätze, sowie sehr werthvolle Beispiele, wenn es sich um die, das Verständniss physiologischer Erschei- nungen ganz besonders fördernde, Vergleichung der mechanischen Einrich- tungen des Organismus mit analogen Leistungen von Maschinen und phy- sikalischen Apparaten handelt. Dadurch werden sie, wie auch der Kreislauf, das Athmen, die Sinne und manche Theile der Muskel- und Nervenphysiologie vom methodischen Standpunkt aus wichtig und für den Lernenden in hohem Grade bildend und fördernd. Auf die Darstellung der einzelnen Funktionen, welche den hergebrachten Inhalt unserer Wissenschaft bildet, lasse ich einen kurzen Abriss der phy- siologischen Entwickelungsgeschichte, sowie eine Schilderung der wichtigsten normalen Körperzustände folgen. Ich bin überzeugt, dass eine Physiologie der Lebensalter, Geschlechter, Körperkonstitutionen u. s. w., sowie der durch äussere atmosphärische Einflüsse und durch die Einzelfunctionirungen selbst (Verdauung, Bewegung u. s. w.) so vielfach modificirten Zustände des Gesammt- organismüs, wenn dieselbe im Zusammenhang und als Ganzes gegeben wird, einem wissenschaftlich wie praktisch sehr wohl begründeten Bedürfniss ent- gegenkommt, welchem bisher — wie ich ohne Anmaassung behaupten darf — niemals in seinem vollen Umfang und nach seiner wahren Bedeutung ent- sprochen worden ist. Möge die Anerkennung, welche auch dieser, formell neue Theil meines Buches gefunden hat, Andere, namentlich physiologisch gebildete erfahrene Aerzte bestimmen, das, was hier nur in kurzen Umrissen erörtert werden kann, weiter auszuführen und dadurch die so nahe verwandten und ohne gegenseitigen Schaden niemals zu trennenden Gebiete der Physiologie und der Medicin in immer fruchtbarere Wechselbeziehungen zu bringen. Die vorliegende zweite Auflage hat, obschon kaum ein Jahr seit Been- digung der ersten verstrichen ist, gleichwohl in vielen Abschnitten, nament- lich in IV, Vn, Vm, X, XIV, XV und XIX wesentliche Veränderungen und Zusätze erfahren; die Statik des Stoffwechsels, das binoculare Kaum- sehen und einige andere Theile der Physiologie des Gesichtssinnes sind vollständig umgearbeitet worden. Tübingen im März 1862. Karl Vierordt.