Volume 1

Geschichte der Medicin / von Dr. Julius Pagel.

  • Pagel, J. (Julius), 1851-1912.
Date:
1898
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Credit: Geschichte der Medicin / von Dr. Julius Pagel. Source: Wellcome Collection.

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    die gewohnte Tracht allerdings nur ein leichtes Schlüpfen, dem modernen Professor der Medicin bedeutet der Actus sicher ein Kriechen, und doch möchte wohl mancher strebende Privatdocent der Medicin recht gern dieser Maskerade sich unterziehen) Wenn Sie diese harmlosen, nicht gerade beaux restes unserer mittelalterlichen Scholastiker betrachten, so haben Sie damit ein Bild von der Zeit, wo unsere Universitäten entstanden sind, von der Quelle, aus der sie hervorgegangen sind, von dem Character, von der Physiognomie dieser Institute und ganz abgesehen von der Wahrnehmung, wie auffallend zäh und beharrlich doch in manchen Dingen der Mensch ist, werden Sie ähnlich, wie der Naturforscher aus dem Zahn eines antediluvianischen Thieres sich den ganzen Leib und die Functionen desselben zu re- construiren vermag, so auch im Stande sein, von dem ganzen Leben und Treiben jener Zeitläufte eine bessere, ich möchte sagen plastischere und greifbarere, mehr concrete Vorstellung zu gewinnen. — Kann ich aber, höre ich diesen oder jenen unter Ihnen fragen, auch einen unmittelbaren Gewinn für mein practisches Handeln, für meine Kunst selbst aus dem Studium der Geschichte ziehen? Ich antworte Ihnen darauf mit einer Sentenz, die Josef HyrtJ (1811—94), der grosse Wiener Anatom, einst über dem Eingang zu einem Pariser Secirsaal ge- funden hat: Hic locus est ubi mors gaudet succurrere vitae. Es kann kein sinnreicherer und passenderer Wahlspruch auch an der Pforte angebracht sein, die zum Studium der medicinischen Ge- schichte führt. Wohl werden Sie sich im Verlauf unserer ge- meinsamen Arbeiten fast nur mit nicht mehr dem Leben unge- hörigen Trägern der AVissenschaft, hier und da auch mit so manchem überwundenen Standpunkt bekannt und vertraut zu machen haben ; wohl können wir nicht alle, mit denen -wir bei der geschicht- lichen Betrachtung in geistige Berührung gerathen, heilig sprechen, so sehr wir auch geneigt sind, jedes, selbst des ge- ringsten unserer Standesgenossen, Haupt mit der Aureole der Verklärung zu umgeben; wohl gleicht das Studium der Geschichte mitunter einer Wanderung auf einem monumentreichen Todten- acker, und der Geschichtsforscher einem Kirchhofsaufseher, dessen Beruf es ist, seine lieben Gräber vor Verfall zu schützen. Ich verkenne nicht, dass es gerade dem Mediciner der Neuzeit, wo das Leben in einer förmlichen Sturm- und Sturzwelle dahin fluthet, wo eine Entdeckung die andere ablöst, ein Tag dem andern neue Weisheit verkündet, schwer ankommt, sich mit der für ihn scheinbar todten und starren Vergangenheit zn beschäftigen. Aber, meine Herren, sehr bald werden Sie zur Ueberzeugung kommen, wie gerade vom Stand- punkt des Practikers sich nichts weniger rechtfertigt, als die aschenbrödelhafte Vernachlässigung der medicinischen Geschiclits- kenntniss. Indem wir daran gehen, unsere altehrwürdige Litte- raturdenkmäler und Urkunden zu durchmustern, werden wir